Die A39 soll von Lüneburg nach Wolfsburg auch durch das Gemeindegebiet von Bienenbüttel gebaut werden. Die Bürgerinitiative „Hohnstorf 2011“ ist ein Teil des Widerstandes gegen diesen ökologischen und ökonomischen Irrsinn.
Gemeinsam mit dem Dachverband „KEINE! A39“ und »benachbarten« Bürgerinitiativen, Einzelpersonen und Verbänden kämpfen wir für Verkehr mit Sinn und Verstand.
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Der Hohnstorfer Heiner Scholing ist Mitglied der Fraktion der Grünen im niedersächsischen Landtag. Er hat in der "Aktuellen Stunde" am Mittwoch, den 26. März, zur Debatte um die A 39 eine - wie wir finden - äußerst lesenswerte Rede gehalten, die wir hier dokumentieren wollen.
Rede des grünen Abgeordneten Heiner Scholing im Niedersächsischen Landtag aus Anlaß der von der FDP beantragten "Aktuellen Stunde" unter dem Titel: "Rot-Grün steht auf der Standspur - Grüne bremsen A39 aus"
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Und mal wieder die A39! In bald jedem zweiten Plenum beschäftigt sich der niedersächsische Landtag mit dieser Autobahnplanung. Und erfahren wir Neues in diesen Debatten? Kommt irgendein Gesichtspunkt zum Tragen, den wir noch nicht thematisiert haben? Um der Langeweile der Wiederholung zu entgehen, steht jetzt jedenfalls mal ein neuer Redner zu dem Endlosthema vor Ihnen. Frau Menge, meiner übrigens sehr phantasiebegabten Kollegin, ist nichts Neues mehr zum Thema eingefallen. Was treibt die Opposition eigentlich um?
Ist es wirklich die Infrastruktur in Nord-Ost Niedersachsen? Wenn das so wäre, würde ich mir wünschen, dass andere Problembereiche auch mal thematisiert würden: Die fehlenden Mittel beim Ausbau der Schleuse Scharnebeck. Die Überlastung des Schienennetzes. Der schlechte Zustand von Bundes- und Landesstraßen. Die Defizite im Ausbau eines schnellen Internets. Und die Verbesserung von Bildungseinrichtungen (Krippen, Kitas, Schulen).
Gehört das in Regionen, die mit den Folgen der demographischen Wende umzugehen haben, nicht irgendwie auch zur Weiterentwicklung der Infrastruktur? Davon höre ich wenig bis gar nichts. Sie bleiben bei Ihrem Lieblingsthema A39! Der Grund liegt übrigens auf der Hand: An diesem Punkt gibt es zwischen den die Regierung tragenden Fraktionen unterschiedliche Positionen. Aber, meine Damen und Herren, wo ist denn das Problem?
Trotz eines erfolgreichen Bündnisses sind wir zwei unterschiedliche Parteien geblieben. Und dass wir Grüne Infrastrukturprojekte wie die A39 sehr kritisch sehen, ist doch völlig klar. Wie oft wollen Sie denn das noch hören?
Das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist gering. Die geplante Autobahn führt durch zahlreiche Schutzgebiete. Landwirtschaftliche Betriebe sind in ihrer Existenz bedroht. Wirtschaftliche Effekte für die Region werden selbst in einem Gutachten, das die IHK hat erstellen lassen, als schwer darstellbar beschrieben
Ja, wir haben unterschiedliche Positionen in dieser Frage. Aber zunächst einmal eint SPD und Grüne, dass wir eine Umsteuerung in der Verkehrspolitik brauchen. Schiene und Wasser vor Straße, Erhalt vor Neubau, gründliche Überprüfung aller Projekte. Sind unterschiedliche Positionen in einer Koalition denn ein Problem? Das wäre aber ein schwaches Zeichen für die Weiterentwicklung unserer demokratischen Kultur. Auch zu diesem umfangreichen Aspekt hat Frau Menge bereits im vorletzten Plenum ausführlich Stellung bezogen.
Also noch einmal - so geht Rot-Grün mit der Ausgangssituation um: Wir haben uns auf gemeinsame Leitlinien verständigt. In Bezug auf die A39 haben wir eine Alternativplanung für den Bundesverkehrswegeplan angemeldet: den 2+1 Ausbau der B4. Und wir haben den Prozess definiert, wie wir bei den unterschiedlichen Infrastrukturprojekten zu einer Entscheidungsfindung kommen.
Grob skizziert sieht dieser Prozess wie folgt aus: Anmeldung von ca. 260 Projekten für den Bundesverkehrswegeplan – wohl wissend, dass die Finanzierung aller Projekte über 200 Jahre hinweg nicht gesichert wäre Rückmeldung vom Bund mit einer realistischen Kosteneinschätzung Bewertungsprozess in Niedersachsen unter enger Beteiligung der Gesellschaft. So macht man das bei Projekten, die in der Gesellschaft hoch umstritten sind.
Und nun befürchtet die Opposition, dass wir Grüne die weitere Entwicklung unseres Bundeslandes ausbremsen. Das kommt uns allzu bekannt vor im Zusammenhang mit Atompolitik! Es ist für unser Bundesland sehr viel zukunftsweisender, einen Prozess zu organisieren, der für Transparenz und Beteiligung sorgt, als uns irgendwann einmal mit der Frage beschäftigen zu müssen, weshalb wir nicht dazu in der Lage waren, Kosten-Nutzen-Verhältnisse – und das heißt AUCH externe Kosten - realistisch einzuschätzen, Fehlplanungen zu vermeiden und Kostenexplosionen vorauszusehen.
Ich glaube nicht, dass ich für solche Strategien Beispiele nennen muss. Wir kennen sie zuhauf!
Stellungnahme des Verkehrs- und Wirtschaftsgeographen Prof. Peter Pez (Leuphana-Universität Lüneburg)
Die Studie zeigt nicht bloß zwischen den Zeilen, sondern auch - dankenswerterweise - offen ausgesprochen gravierende, argumentative Schwächen auf. Die ganze Studie im Detail zu besprechen, würde lange dauern und viel Seitenraum in Anspruch nehmen. Dies nützt vermutlich niemandem nachdrücklich, sodass ich mich vorerst darauf beschränke, fünf wichtige Defizite zu benennen:
1) Lückenschluss Das Argument "Lückenschluss" in der größten deutschen, von Autobahnen nicht erschlossenen Region durchzieht große Teile der Schrift textlich und abbildungstechnisch, gepaart mit der Klassifikation NO-Niedersachsens als dezentrale, periphere Region. Würde man den Maßstab verkleinern (was kartentechnisch eine Vergrößerung der Abbildungsfläche bedeutet), müsste man erkennen, dass ganz Deutschland von Autobahnen gut erschlossen ist und es zumindest in dieser Hinsicht keine wirklich dezentrale, periphere Region gibt. Andere Lageparameter können eine solche Klassifikation gleichwohl bedingen, bspw. für einige Regionen Ostdeutschlands, NO-Niedersachsen kann damit aber nicht verglichen werden und verdient eine bessere Notation. Außerdem wird es immer eine größte, noch nicht von Autobahnen erschlossene Region geben, solange nicht näherungsweise der gesamte Staatsraum asphaltiert ist, dies kann also für sich genommen kein Grund für einen Fernstraßenbau sein. Das Lückenschlussargument wird bezeichnenderweise sogar im dichtest erschlossenen Autobahnraum Deutschlands, im rheinisch-westfälischen Industriegebiet, immer wieder für Forderungen nach Bau weiterer Trassen ins Feld gebracht. Über die Schrift verteilt wird deshalb mehr mit Stereotypen als mit wirklichen Argumenten hantiert.
2) Methodik (Kap. 1.3) Schon der Abschnitt 6 auf S. 13 ist sehr erhellend formuliert: Den "wissenschaftlich mehr oder minder indifferenten multikausalen Wirkungszusammenhängen zwischen (über-)regionalen Straßenbauprojekten und ihrer ökonomischen Effekte[n]" folgt als Schlussfolgerung der Verzicht auf tiefergreifende quantitative Wirkungsanalysen - das ist das Gegenteil dessen, was man erwarten sollte. Man kennt offenbar die empirische Nicht-Belegung regionalökonomischer Effekte durch Fernstraßenbau, die es ja spätestens seit 1980 gibt, und zieht daraus den Schluss, sich methodisch auf ein qualitatives und damit völlig unzureichendes Paradigma zurückzuziehen. Das Gegenteil, also nun erst recht mehr methodischer Input, wäre angeraten gewesen, stattdessen bemüht man sich nicht einmal um Reisezeitanalysen, die doch per "desktop research" anzufertigen gewesen wären. Bloße Meinungen bzw. subjektiv empfundene Erfahrungen von Funktionsträger(inne)n können die fürwahr diffizile Materie jedenfalls absolut nicht erhellen.
3) Nutzen-Kosten-Verhältnis (Kap. 3.2) Die Studie zeichnet die sukzessive Absenkung des NKV auf aktuell 1,9 nach, zieht daraus ein positives Fazit und meidet jegliche Problematisierung. So bleibt unbeachtet, dass die Errechnung des volkswirtschaftlichen Nutzens großenteils rein kalkulatorisch erfolgt. Berechnete Zeitersparnisse im täglichen Minutenbereich werden bspw. mit Lohnsätzen multipliziert, jedoch werden diese Zeitersparnisse gar nicht monetarisiert, weil man im Tagesbezug keiner weiteren vergüteten Tätigkeit nachgehen kann. Während also die Kosten monetär konkret anfallen, ist das beim Nutzen keineswegs der Fall und man darf keineswegs daraus schließen, dass bspw. für 10 investierte Euro 19 Euro als Nutzen entstehen. Deshalb wird gemeinhin auch ein NKV von 3,0 für eine Aufnahme in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans als Schwellenwert genutzt. Das NKV ist aus besagtem Grund gar nicht geeignet, um den Nutzen absolut-quantitativ zu beschreiben, sondern es ist nur ein Maßstab für die relative Wertigkeitsdifferenzierung verschiedener, konkurrierender Vorhaben zur Erstellung einer Rangfolge. Die vorgenommene Interpretation ist deshalb systematisch falsch.
4) "Praktische" Erfahrungen (Kap. 4.2) In diesem Kapitel werden grundlegende argumentative Fehler gemacht. Die Autoren versuchen nicht einmal, zwischen Ursachen und Wirkungen klar zu differenzieren. Wenn bspw. Arbeitslosigkeit und Einwohnerrückgang in Autobahnnähe geringer ausfallen - bezeichnenderweise gibt es diese auch dort -, kann dies auch daran liegen, dass Autobahnen an Zentralen Orten vorbeiführen; das sollen sie schließlich auch, um eine Verbindungsfunktion wahrzunehmen. Die Zentralen Orte sind aber Kerne wirtschaftlichen Geschehens und Zentren von Bevölkerung. Zeitreihenanalysen werden ebensowenig vorgenommen wie überhaupt quantitative Vergleiche - man hat ja schon bei der Methodik erklärt, Schlussfolgerungen aus Gesprächen zusammenzustellen. Im selben Sinne wird auch der Mikrostandorteffekt (Gewerbegebietseinrichtung an Fernstraßenzufahrten als Effekt der Flächennutzungsplanung und ihre Auffüllung insbesondere durch intraregionale Standortänderung bei Betriebsflächenvergrößerung) überhaupt nicht thematisiert.
5) Regionalökonomische Potenziale (Kern: Kap. 5.4) Nach Anlage der Untersuchung überrascht es nicht, wenn Ausführungen zu den erwartbaren regionalökonomischen Effekten - also über die Darstellung des Ist-Zustandes hinaus - auffallend dünn bleiben. In der Tat gelangt die gesamte Schrift an verschiedenen Stellen nicht darüber hinaus aufzuzeigen, dass verschiedene positive ökonomische Effekte möglich wären. Das ist argumentativ durchaus korrekt, jedoch nur der erste Schritt einer üblichen volkswirtschaftlichen oder auch wirtschaftsgeographischen Betrachtung: das Aufzeigen möglicher Wirkungszusammenhänge. Entscheidend ist der empirische Beleg, dass diese Möglichkeiten auch wirklich eintreffen bzw. wie stark und verursacht durch Fernstraßenausbau das geschieht. Dies leistet die Studie, wie schon unter Pkt. 2 vermerkt, nicht und zieht sich damit auf den Wissenschaftsstand der 1970-er Jahre zurück.
6) Alternativenprüfung Die Autoren ziehen als Vergleich einen vierspurigen Ausbau der B4 heran, aber das ist nicht die adäquate Vergleichsgrundlage, diese müsste auf die Alternative alternierender Überholstreifen (2+1-System) mit Ortsumfahrungen gerichtet sein, welche u. a. gerade nicht jene Verkehrsmenge neu in die Region ziehen dürfte, wie dies ein Autobahnbau oder eine durchgehend vierspurige Bundesstraße tut. Dass auch die Flächennutzungskonflikte oder Baukosten dann viel geringer sowie die Entlastungen der Ortsinnenverkehre viel größer ausfallen als bei einer A39 findet so keine Beachtung.
Wie oben gesagt, ließe sich noch viel mehr zum IHK-Gutachten schreiben; ich möchte an dieser Stelle abbrechen, indem ich das formuliere, wozu die Studie durchaus effektiv beiträgt: Sie dokumentiert die Schwäche der Argumentation derjenigen, die den Bau der A39 (oder auch manch anderer Autobahn) fordern.
Verschweigen und Weglassen Wie ein Positionspapier im Auftrag der IHK den entscheidenden Fragen zur A 39 ausweicht
Kurzfassung: Die Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg hat ein „Gutachten" in Auftrag gegeben und kommt zu dem Schluss, dass die A 39 wichtig für die Region sei. Es handelt sich bei dem angeblichen Gutachten lediglich um eine von der Kammer bezahlte Argumentationshilfe für die Autobahnbefürworter. Die Autoren schreiben ganz offen: „Als grundsätzliche Ziele dieses Gutachtens werden nachfolgende Elemente genauer erläutert und ggf. weiter differenziert werden: Darstellung der Wirtschaftlichkeit des Vorhabens." Damit das bei dem bekanntermaßen unwirtschaftlichen Projekt A 39 gelingt, werden Fakten ausgeklammert und Erkenntnisse unabhängiger Experten ignoriert. So bezeichnen die Gutachter ein NKV größer als 1 als „wirtschaftlich" Das ist volkswirtschaftlich betrachtet Schwachsinn. Denn für eine Gesellschaft kommt es darauf an, begrenzte Mittel so einzusetzen, dass ein möglichst großer Nutzen entsteht. Mit dem NKV von nur 1,9 liegt die geplante A 39 am unteren Ende der Projekte im Bundesverkehrswegeplan. Darum gibt die IHK Geld der Mitglieder für Argumentationshilfen aus, um das unrentable Vorhaben besser verteidigen zu können.
Typisch für das Papier des Schweizer Instituts sind Sätze wie: „Es ist anzumerken, dass der Zusammenhang zwischen Fertigstellung des Autobahnteilstücks und der Regionalökonomie bislang quantitativ oder qualitativ nicht verifiziert worden sind. Nichtsdestotrotz...". Das heißt im Klartext: Wissenschaftlich lässt sich zwar kein Zusammenhang zwischen Autobahn und Wirtschaftswachstum nachweisen, aber wir behaupten ihn trotzdem. Das Gutachten ist ärgerlich, weil es mit seiner Mischung aus Beschreibung von Wirtschaftsfakten und ideologischen Behauptungen eine rationale Debatte über eine sinnvolle Verkehrspolitik für die Region erschwert.